Ich habe mir vorgenommen, ein Plädoyer für die Verhüttelung zu schreiben. Dafür gab es zunächst zwei Gründe. Zuerst der fast schon etwas platte Wortwitz im Zusammenhang dieses der Hütte gewidmeten Sammelbandes. Vor allem aber die in der Gesellschaft fast einhellige Ablehnung gegen eine die Landschaft verstellende, den Boden versiegelnde, Ressourcen verschlingende, einem traditionellen Familienbild verhaftete Form der Architektur.
Diese Form von Einigkeit reizt zum Widerspruch. Dabei schienen mir einige Faktoren in die Hände zu spielen. Bei dem Ziel der Kritik der Anderen handelt es sich meist um eine in seinen extremsten Auswüchsen von Kirschlorbeerhecken eingezäunten Form des Wohnens, dem Einfamilienhaus. Der Gegenstand meines Plädoyers ist aber eine Architektur des bäuerlichen Arbeitens, die Weingartenhütte.
Die Weingartenhütte, oder allgemeiner, die landwirtschaftlich genutzte Hütte, am Besten gezeichnet von Wind und Wetter und in möglichst rustikalem Design, wird allerdings meist ohnehin als eine Bereicherung der Landschaft wahrgenommen. Der Vergleich mit der Ruine drängt sich auf, die Spuren der Witterung scheinen ein entscheidender Faktor für die breite ästhetische Akzeptanz zu sein.1 Selbst die noch nicht ganz dem Verfall preisgegebene Hütte benötigt zumindest deutliche Spuren des Alterns, um allgemein als schmückend empfunden zu werden. Hier aber offenbart sich ein zentrales Problem. Das malerische Loch im Dach, die schief hängende und deshalb nicht mehr verschließbare Tür, die langsame Eroberung durch Flora und Fauna, all das behindern, ja verunmöglichen die Nutzung der Hüttenarchitekturen.
Doch hier soll es ohnehin nicht um die romantische Verklärung der (ruinösen) Hütten als Decorum ruraler Landschaften gehen. Es handelt sich schließlich um ein Plädoyer für die Verhüttelung.
1 Für eine umfassende Analyse der ästhetischen Besonderheiten der Ruine siehe etwa Georg Simmel, Die Ruine, in: Philosophische Kultur. Gesammelte Essais von Georg Simmel, Leipzig 1911.
Doch warum eigentlich? Die bestehenden Hütten, ob verfallen oder genutzt, scheinen niemanden zu stören und die Neuerrichtung solch kleiner, primär landwirtschaftlich genutzter Architekturen stellt sicher die Ausnahme dar.2 Gerade um die Neuerrichtung geht es aber bei der Verhüttelung.
2 Spätestens an dieser Stelle wäre eine Definition der Hütte angebracht. Im Zusammenhang dieses Textes ist von kleinen, dem Arbeiten gewidmeten Errichtungen die Rede, die im Normalfall auch nicht über Strom, Wasseranschluss oder Sanitäranlagen verfügen. Die meisten dieser Hütten bestehen aus nur einem unbeheizten Raum und dienen der Lagerung und der Rast.
Man könnte sich viele Argumente für eine Neuerrichtung von (Weingarten-)Hütten zurecht legen. So lässt sich beispielsweise mit ihrer Nachhaltigkeit argumentieren. Denn die Hütten sind klein und oft aus wiederverwendeten oder zumindest einfachen Materialien errichtet. Da die meisten Hütten Regenwasser sammeln, ist auch die Bodenversiegelung kein allzu großes Problem.
Das entscheidende Argument für eine Neuerrichtung muss sich aber auch dem zentralen Problem der Nützlichkeit widmen, denn wird die Hütte nicht genutzt, gibt es meiner Meinung nach keinen Grund für eine Neuerrichtung. Sieht man von der Nutzung als Ausschank, möglicherweise mit einem etwas abseits gelegenen Mobiklo, einmal ab, so bleibt die ursprüngliche landwirtschaftliche Nutzung als naheliegendste Option.
Wieso aber sollte man eine offensichtlich aus der Mode gekommene, den zeitgenössischen landwirtschaftlichen Produktionsmethoden nicht mehr angemessene Zweckarchitektur wiederbeleben?
Zumindest im Weinbau hat die Hütte erst seit wenigen Jahrzehnten ihre integrale Bedeutung verloren. Noch in den Fünfzigern beschreibt sie Lenz Moser als unerlässlich für größere Weingartenanlagen. Allerdings dient sie dort nur noch einem zentralen Zweck, der Wasserspeicherung zum Anmischen von Spritzmitteln. Gemeinsam mit Neuerungen wie der Abkehr von der Stockkultur und der Anpassung der Zeilenbreite für die Bearbeitung mit schweren Maschinen steht sie also schon ganz im Zeichen einer industrialisierten Landwirtschaft.3 Damit hat die Hütte an sich also schon ihren Zenit überschritten, denn allein als Zugang zu (Regen-)Wasser ist sie unzweckmäßig. Auch ihre anderen Vorteile, wie die Möglichzeit zur Rast oder der Lagerung von Arbeitsmaterial ist durch eine meist kurze Fahrt mit dem Auto oder Traktor zurück zum Hof obsolet geworden. Statt also Rat bei Lenz Moser zu suchen und den unweigerlichen Pfad hin zur industrialisierten Landwirtschaft einzuschlagen, möchte ich eine Alternative vorschlagen und die ursprüngliche Nutzung genauer betrachten.
3 Lenz Moser, Weinbau einmal anders. Ein Weinbauhandbuch für den fortschrittlichen Weinbauern, Rohrendorf bei Krems 1950, zur Weingartenhütte v.A. S. 33ff.
Schon vor Lenz Moser spielt die Wasserspeicherung eine Rolle für die Bewirtschaftung der Weingärten und daher auch für die dazugehörige Hütte. Da aber die Weingärten mit Pferdefuhrwerken oder zu Fuß erreicht wurden, sind andere Faktoren mindestens ebenso wichtig. Um das Gepäck auf ein Minimum zu reduzieren, lohnte es sich, alles Arbeitsmaterial in oder bei der Hütte lagern zu können. Weiters ist ein Rastplatz von großer Bedeutung, um den ganzen Tag im Garten verbringen zu können. Zum Schutz vor Wind und Wetter ist also ein überdachter Bereich hilfreich, möglicherweise auch ein Platz in der Hütte selbst. Weiters sollte es besonders an heißen Tagen einen Baum geben, der Schatten spendet. Bei diesem handelte es sich meist um einen Obst- oder Nussbaum, da so auch Früchte genutzt werden konnten. Hatten die Nachbar:innen andere Baumarten gepflanzt, konnten die Früchte im Verlauf der Saison geteilt werden, so dass es den ganzen Sommer lang frisches Obst gab. Walnüsse hatten den Vorteil, nicht nur lagerbar zu sein, sondern durch die ätherischen Öle in den Blättern auch Mücken fern zu halten. Während die Weingärten heute meist einer Monokultur entsprechen, wurden noch vor einigen Jahrzehnten Erdäpfel, Zwiebel, Knoblauch, Kürbisse, Bohnen und vieles mehr angebaut, wofür erneut die Hütte eine entscheidende Infrastruktur bot.4 So ließen sich im Inneren oder unter dem Vordach Lebensmittel trocknen, einige Hütten waren auch mit Erdkellern zur Lagerung von Wein aber auch zur Lagerung von Gemüse ausgestattet.
4 Auch die Bezeichnung Wein-Garten bekommt in diesem Zusammenhang eine ganz andere Bedeutung.
Die Hütte kann in diesem Sinne als Nukleus einer kleinteiligen, auf Handarbeit basierten Landwirtschaft gedacht werden. Dabei ist die vermeintliche Einschränkung durch die minimalistische Infrastruktur der Hütte Voraussetzung für eine diversifizierte und nachhaltig bewirtschaftete Anlage des Weingartens. Für diese Ökologisierung bei gleichzeitiger Ertragsmaximierung lassen sich auch andere historische, wie zeitgenössische Beispiele finden, etwa die sogenanntenVictory Gardens während der beiden Weltkriege.

Abb. 1: Victory Garden, Parzelle in den Kensington Gardens, London, 1942, © wikicommons.
Vor allem in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Kanada wurde die Bevölkerung dazu angehalten Obst und Gemüse selbst anzubauen, um in Kriegszeiten die Ernährungssicherheit garantieren zu können. Dabei wurden nicht nur in den Gärten von Häusern und Villen Lebensmittel angebaut, sondern auch in öffentlichen Parks oder, wie es eine Fotografie von 1943 zeigt, in einem ehemaligen Bombenkrater.

Abb. 2: Victory Garden in einem Bombenkrater, ca. 1943, Franklin D. Roosevelt Library, New York, © wikicommons.
Die Produktivität dieser Gärten war so groß, dass in den USA während des zweiten Weltkriegs 40 Prozent der frischen Lebensmittel dort erzeugt wurden.5 Da aber sowohl Treibstoff, als auch die Produktion von Kunstdünger für die Produktion von Lebensmitteln für die Front verwendet wurden, musste die Bevölkerung auf alternative Düngemethoden zurückgreifen. Überall wurde Kompost hergestellt, Pferdemist ausgebracht und sogar der Ruß aus den Kaminen wurde verwendet, um die Fruchtbarkeit der Victory Gardens zu gewährleisten. In Bezug auf die Intention der Selbstversorgung und die Kleinteiligkeit der bewirtschafteten Flächen bietet sich auch die Wiener Siedler:innenbewegung6 als Vergleichsbeispiel an. Zwar handelte es sich zunächst um wilde Siedlungen, die aus der Not nach dem ersten Weltkrieg entstanden, doch durch Bemühungen Otto Neuraths, Margarete Schütte-Lihotzkys und anderen wurden sie in das Wohnbauprogramm der Stadt Wien integriert. Auch bei den Parzellen der Siedler:innen handelte es sich um kleinteilige Anlagen zur Selbstversorgung mit Obst und Gemüse, aber auch Geflügel oder Kaninchen. Die Produktion war darauf ausgelegt, möglichst autark und mit minimalen Kosten zu produzieren, was eine Düngung mit Kompost, die Produktion eigenen Saatgutes und ähnliche Praktiken voraussetzte. Anders als bei den Victory Gardens ist das dazugehörige Haus der Siedler:innen aber integraler Bestandteil der Gesamtanlage. So entwickelte Margarete Schütte-Lihotzky beispielsweise verschiedene Varianten von Kernhäusern, die modular erweiterbar und auf die landwirtschaftliche Produktion ausgelegt waren. Je nach geplanter Nutzung waren Ställe, Verarbeitungsräume, Spaliere für Obstbäume an der Fassade und Lagerräume vorgesehen.7
5 Endres, A. Bryan/Jody M. Endres, Homeland Security Planning: What Victory Gardens and Fidel Castro Can Teach us in Preparing for Food Crises in the United States, Food and Drug Law Journal , Vol. 64, Nr. 2, 2009, S. 408f.
6 Von den Forschungen Leonie Mühleggers zu Margarete Schütte-Lithotzky angeregt, möchte ich ihrer angepassten Terminologie folgend ebenfalls von Siedler:innen sprechen und auf die gängigere Bezeichnung Siedlerbewegung verzichten.
7 Auch für Anregungen zu den Kernhäusern Schütte-Lihotzkys bin ich Leonie Mühlegger sehr dankbar.

Abb. 3: Magarete Schütte-Lihotzky, Siedlerhütten, Type A, Grundriss: EG, OG, Schnitt A-B Seitenansicht, Vorderansicht, Skizze, um 1922, Universität für angewandte Kunst Wien, © wikicommons.
Trotz der vielen Vorteile dieser Architekturen wurde das Programm von der Stadt Wien bald wieder eingestellt, was neben Kostengründen vor allem auch politische Gründe hatte. Das Siedler:innenhaus, so befürchtete die sozialistische Stadtregierung, stärke das christlich-konservative Lager und sei keine ideale Form des Wohnens für Arbeiter:innen.
Und auch heute noch sieht sich ein Plädoyer für eine kleinstrukturierte, bäuerliche Landwirtschaft mit dem Vorwurf eines romantisch-verklärten Konservatismus konfrontiert. Zwar bezieht sich die Linke immer wieder auf bäuerliche Revolutionen wie die Bauernkriege des frühen sechzehnten Jahrhunderts, doch im Großen und Ganzen ist der Bauer eher Feindbild als Ideal in den linken Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. So auch der Bauer im Sowjetkommunismus, statt einer kleinstrukturierten Landwirtschaft wird auf Industrialisierung gesetzt, die Bauern werden als (Land-)Arbeiter umgedeutet und so in den Arbeiterstaat der UdSSR integriert.
Doch gerade in der Sowjetunion werden auch alternative Konzeptionen der Landwirtschaft und Gesellschaft entwickelt. So untersucht der Agrarwissenschaftler und Ökonom Alexander Wassiljewitsch Tschajanow die optimalen Betriebsgrößen in der Landwirtschaft (1930) und kommt zu dem Schluss, dass kleine, familiäre Betriebe nicht nur am wirtschaftlichsten sind, sondern auf Grund ihrer ökonomischen Besonderheiten auch als kommunistisch verstanden werden können.8 Tschajanow sah eine mögliche revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft in Formen bäuerlicher Selbstverwaltung statt in der entfremdeten Fabrikarbeit und war auch von anarchistischen Bewegungen beeinflusst. Neben seinen wissenschaftlichen Untersuchungen artikulierte er seine Überlegungen in Romanen wie dem Land der bäuerlichen Utopie (1924) ,9 in dem ein sowjetischer Funktionär in das Jahr 1984 reist und dort auf eine Art Bauernrepublik trifft. Die Produktion findet dort in kleineren, genossenschaftlich organisierten Betrieben unter weitgehender Selbstverwaltung statt, nur die Infrastruktur ist staatlich organisiert. Dabei ist es der ländliche Raum, der ein besonderes Gewicht hat, denn Städte werden per Dekret abgeschafft und ähneln nun eher weitläufigen Parkanlagen. Nichts desto trotz findet auf Marktplätzen und in den Ortschaften ein reiches kulturelles Leben statt, dass aber entsprechend dezentral organisiert ist.
8 Alexander Wassiljewitsch Tschajanow, Die optimalen Betriebsgrößen in der Landwirtschaft. Mit einer Studie über die Messung des Nutzeffektes von Rationalisierungen der Betriebsfläche, Berlin 1930.
9 Alexander Wassiljewitsch Tschajanow, Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie, Frankfurt am Main 1981.
Zwar kann der Roman Alexander Tschajanows, den Josef Stalin schlussendlich aufgrund seines Widerstands gegen die Zwangskollektivierung hinrichten ließ, sicherlich nicht als exaktes Modell einer künftigen politischen Ordnung gelesen werden. Doch zeigt das Buch alternative Lösungen für den ländlichen Raum, die Produktion von Lebensmitteln, aber auch eine alternative, dezentrale Konzeption kulturellen und politischen Lebens auf. In diesem Sinne möchte ich vorschlagen, auch die (Weingarten-)Hütte nicht als Schrebergarten oder Ausdruck rückwärtsgewandter bäuerlich-folkloristischer Romantik zu verstehen, sondern als Anregung, um über alternative Formen des bäuerlichen Arbeitens nachzudenken. Dabei ist klar, dass es nicht zielführend sein kann, dieselben Praktiken wie vor hundert Jahren wieder einzuführen. So wären beispielsweise mobile Hütten, die auch als Ställe und Tränke für extensive Beweidung genutzt werden können, eine immense Bereicherung. Denn gerade in der reduzierten Ausgestaltung der Hütte liegt das Potenzial für eine ökologisch wie gesellschaftlich nachhaltigere Form des (Land-)Wirtschaftens.